Ist Antifaschismus verfassungswidrig?
14. Mai 2012
Der Landesverfassungsschutz setzt auch unter der neuen Regierung auf die alten GeheimdienstmethodenZur Vorstellung des neuen Landesverfassungschutzberichtes am 11.Mai 2012 erklärt die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg e.V.:
Wer gehofft hatte, mit der neuen Grün-Roten Landesregierung gäbe es nun in Baden-Württemberg die Chance auf eine neue, offenere politische Kultur, sieht sich durch die Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichtes durch den sozialdemokratischen Innenminister Gall herb enttäuscht. Nicht mal der Schlauch ist neu, in den der alte Wein gegossen wurde.
Obwohl mit der Entdeckung der neofaschistischen Terrormorde der NSU nun auch konservativen Politikern eine Idee gekommen sein müßte, woher die Demokratie bedroht wird, wird in diesem Verfassungsschutzbericht erneut der Antifaschismus als Feindbild verortet: „Linksextremismus … Antifaschismus bleibt zentrales Aktionsfeld“ lauten die Überschriften zur Einführung des Kapitels, in dem die ‚staatsfeindliche‘ Tätigkeit linker Organisationen wie folgt geschildert wird: „Im Mittelpunkt des linksextremistischen „Antifaschismus“ standen erneut Aktionen gegen … Veranstaltungen von Rechtsextremisten.“
Folgerichtig wird auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, die 1947 von den wenigen Überlebenden der KZs und Folterstätten des Hitlerregimes gegründet wurde, als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ verdächtigt und verächtlich gemacht:
Zu diesem Zweck verbreitet Verfassungsschutzbericht lediglich eine Reihe von Halbwahrheiten, Verdrehungen und Nichtigkeiten.
Der – aus nicht erklärten Gründen in Gänsefüsse gesetzte ‚Antifaschismus‘ der VVN-BdA stehe „auf der Basis des klassisch kommunistischen Faschismusverständnisses, das einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus herstellt“, lautet der Hauptvorwurf des Verfassungsschutzes. Die VVN-BdA als Organisation hat sich indessen nie auf eine bestimmte der auch in ihren Reihen diskutierten Faschismustheorien festgelegt. Klar ist nur, dass der Begriff Faschismus in Wissenschaft und Politik ganz eindeutig jene autoritär-repressiven politischen Bewegungen und Herrschaftsformen beschreibt, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in zahlreichen kapitalistisch geprägten europäischen Ländern entstanden und teilweise zur Macht gelangt sind, ein Zusammenhang mit dem Kapitalismus also historisch vorgegeben ist.
Das satzungsgemäße Bemühen der VVN-BdA ist es, in Übereinstimmung mit dem als Gegenentwurf zum gerade überwundenen faschistischen System entstanden Grundgesetz, alle Ansätze faschistischer Tendenzen zurückzuweisen. Die Zusammenarbeit aller Gegnerinnen und Gegner des Faschismus unabhängig von deren parteipolitischen Präferenzen oder weltanschaulichen Überzeugungen ist die Grundlage aller ihrer Aktivitäten.
Aus der Gründungsgeschichte der VVN-BdA erklärt sich, dass die VVN-BdA in besonderer Weise den Organisationen der Arbeiterbewegung, Gewerkschaften und Parteien, verbunden ist, die einen bedeutenden Teil des antifaschistischen Widerstandes gegen das Naziregime leisteten und zahlreiche Opfer zu erbringen hatten.
Auffällig am Verfassungsschutzbericht über die VVN-BdA ist, dass der baden-württembergische Verfassungsschutz ganz offensichtlich nicht vorrangig die Tätigkeit der juristisch selbstständigen VVN-BdA Baden-Württemberg im Visier hat, sondern sich wesentlich ausführlicher mit dem Dachverband auf Bundesebene beschäftigt. Als Beweis für den „Linksextremismus“ der VVN-BdA wird dort angeführt, dass der Bundesvorsitzende, der Theologe Heinrich Fink, sich in einem Zeitungsinterview zum Sozialismus bekannt habe.
Hintergrund für diese ausführliche Befassung mit der Bundesvereinigung ist die Tatsache, dass als Folge zumeist rot-grüner Regierungszeiten die VVN-BdA seit Jahren nicht mehr im Bundesverfassungsschutzbericht und in den Berichten der anderen Bundesländer erwähnt wird. Neben Baden-Württemberg ist dies nur noch in Bayern der Fall. Offensichtlich soll mit diesen beiden verbleibenden Berichten die Lücke geschlossen werden, die durch die fehlende geheimdienstliche Beobachtung der VVN-BdA auf Bundesebene entstanden ist. Warum sich Baden-Württemberg im Gegensatz zu den anderen Bundesländern daran ausgerechnet unter einer nun grün-roten Regierung hergibt, bleibt eine offene Frage. Noch im letzten Jahr hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel gegenüber der VVN-BdA in einem Brief bekundet, dass „… nach unserem Dafürhalten auf eine Nennung der VVN-BdA als Organisation im Verfassungsschutz verzichtet werden könnte“.
Die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutzbericht im letzten kleineren Teil des entsprechenden Kapitels über die VVN-Baden-Württemberg zusammengestellt hat sind ebenso dürftig, wie jene über die Bundesvereinigung:
– Vertreter aus Baden-Württemberg seien bei der Antragsdebatte auf dem Bundeskongress „besonders aktiv in Erscheinung getreten.“
– Die VVN-BdA Baden-Württemberg habe zu Protesten gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn aufgerufen.
– Die Freiburger VVN-BdA habe einen Aufruf „Freiburg gegen Faschismus“ unterstützt, der auch von der Partei Die Linke und der DKP sowie dem Jugendverband der MLPD mitgetragen worden sei. (Vergessen wurden in dieser Aufzählung übrigens u.v.a. der DGB und ver.di Freiburg)
– Die VVN-BdA habe sich mit TeilnehmerInnen an Protesten gegen ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr in Stuttgart solidarisiert, gegen die deshalb staatsanwaltschaftlich ermittelt wurde, und sich gegen die ‚Kriminalisierung legitimen Protestes‘ gewandt.
Wie aus diesen alltäglichen Beispielen für ein viel umfassenderes Eintreten der VVN-BdA gegen Faschismus und Neofaschismus, für Frieden und Demokratie eine Gefahr für die Verfassung abgeleitet werden kann, bleibt das Geheimnis des Geheimdienstes. Diese Verfassung legt im Gegenteil großen Wert auf demokratisches Engagement und garantiert als Grundrechte u.a. die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit.
Ein nachvollziehbarer Hinweis, warum die Organisation der Naziopfer und Antifaschisten VVN-BdA in diesem Bericht als verfassungsmäßig bedenklich auf die selbe Stufe gestellt wird, wie die Gesinnungsnachfolger ihrer damaligen Peiniger, die Rassisten, Neofaschisten und Rechtsterroristen von heute, ist nicht zu finden.
Die VVN-Bund der Antifaschisten fordert Innenminister Gall und die Landesregierung auf, dem Beispiel der Mehrheit der Bundesländer zu folgen, diesem gespenstischen Treiben des Landesamtes für Verfassungsschutz ein Ende zu setzen und die Verunglimpfung antifaschistischen Engagements durch die jährliche Erwähnung der VVN-BdA im Landesverfassungsschutzbericht einzustellen.