Antifaschistische Infotische in Neuhausen und Leonberg unter Polizeischutz
29. Oktober 2010
Am Morgen des 30. Oktobers 2010 waren Teile des Ortes Neuhausen auf den Fildern von Aufklebern der NPD und faschistischer Kameradschaften übersät. Der Marktplatz war voll mit tausenden von Schnipseln der sogenannten „autonomen“ Nationalisten, auf denen mit der Aufschrift „Gegen linke Chaoten und Überfremdung – Nationale Sozialisten Baden – Württemberg“ gegen Migranten und Linke gehetzt wurde. Schon in der Nacht zuvor wurden die Bewohner durch lautes Nazigegröhle aus dem Schlaf gerissen.
Am 30. Oktober war ein seit längerem von regionalen antifaschistischen Gruppen angekündigter Infotisch geplant. Damit sollte die Bevölkerung über faschistische Umtriebe im Ort informiert und dagegen mobilisiert werden.
In Neuhausen auf den Fildern gibt es schon seit längerer Zeit eine kleine aktive Gruppe von Faschisten, die teilweise in der „Freien Kameradschaft Fichtenberg“ oder in der NPD und ihrer Jugendorganisation organisiert sind.
Diese beschränkten sich nicht nur auf ihre menschenverachtende Propaganda durch Aufkleber, die sie im gesamten Ort verkleben, sondern zeichnen sich auch immer wieder durch Übergriffe auf antifaschistische Jugendliche und MigrantInnen aus. Sofern diese Vorgänge in der Presse überhaupt Erwähnung fanden, wurden sie dort wie üblich als „Streitereien“ unter Jugendlichen dargestellt. Für die Betroffenen stellte sich das allerdings anders dar, wenn beispielsweise bei der abendlichen Heimfahrt mit dem Bus ein Teil der Fahrgäste aus gewalttätigen Jungfaschisten besteht.
Ein Höhepunkt der Naziaktivitäten in Neuhausen waren mehrmalige Erpressungen gegen junge Antifaschisten im Sommer des Jahres. Die Faschisten griffen dabei auch zur altbekannten Methode, in von der Aufmachung her scheinbar „antifaschistischen“ Flugblättern gegen örtliche Vereine zu hetzten und diese als Nazis zu beschimpfen, um die Neuhausener Bevölkerung gegen die Antifaschisten aufzubringen.
Am Tag der Durchführung des Infotisches jagten dann Gruppen der aus verschiedenen Orten Baden – Württembergs angereisten Nazis teilweise vermummt vermeintliche Antifaschisten, wobei von den Nazis Flaschen und andere Gegenstände geworfen wurden.
Dass der Infotisch auf dem Marktplatz trotzdem durchgeführt werden konnte, war allerdings weniger der Präsenz der örtlichen Polizei zu verdanken als den umgehend mobilisierten Antifaschisten aus der Region. Die Beamten konzentrierten sich voll und ganz auf den antifaschistischen Infotisch und unternahmen außer der Aufnahme der Personalien bei einigen der Rechten, die teilweise komplett vermummt neben ihnen standen, nichts weiter.
Trotz gleichzeitig stattfindenden Wochenmarkt trauten sich so nur recht wenig Ortsansässige an den Infotisch. Bei den Gesprächen mit ihnen wurde deutlich, dass die Kenntnis über die Aktivitäten der Nazis am Ort sehr unterschiedlich sind, andererseits gab es auch Aufgeschlossenheit und den Wunsch nach weiterer Information und Austausch.
Nachdem der vom Ordnungsamt nur für eine Stunde genehmigte Infotisch abgebaut wurde, kam es nochmals zu einem Angriff der Rechten: Bei der Abreise wurde ein Auto mit darin sitzenden AntifaschistInnen von vermummten Neonazis angegriffen und die Heckscheibe durch einen Faustschlag eines Nazis zerstört.
Die Informationstour führte danach weiter nach Leonberg, wo eine Kundgebung mit Infotisch durchgeführt werden sollte.
Auch dort gibt es eine aktive Naziszene, die sich vor allem in diversen Kneipen und Festen rund um Leonberg präsentiert und mit Übergriffen und Pöbeleien auffällt.
So wurden auf Dorffesten in Rutesheim und Weissach 2007 und 2008 mehrere Jugendliche von den ihnen krankenhausreif geschlagen.
Um 14 Uhr begann die Kundgebung mit Infotisch vor der Römergalerie. An diesem Ort kam es am 17.Juli zu einem Angriff von mehreren Neonazis mit Pfefferspray, Flaschenwürfen und Baseballschlägern.
Im Gegensatz zu den Erfahrungen des Vormittags kam es in Leonberg zu keinen Provokationen oder gar Übergriffen. Allerdings war inzwischen auch die Teilnehmerzahl an der Aktion auf einige Dutzend Antifaschisten angewachsen. Auch hier war ein großes Polizeiaufgebot rund um die Kundgebung positioniert.
Es wurden zwei Reden der Antifaschistischen Initiative Leonberg (AIL) und vom Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) gehalten. Sie gingen dabei auf die Notwendigkeit von antifaschistischem Selbstschutz, Entwicklungen in der Neonaziszene und die aktuellen Naziaktivitäten in Leonberg ein.
Beiden Gruppen ein positives Fazit für Leonberg und gehen davon aus, auch in Neuhausen den richtigen Nerv getroffen zu haben. Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen, sondern konsequent immer und überall gegen das faschistische Gedankengut ankämpfen, bis hin zu einer Gesellschaft, in dem sich keiner vor rassistischen Schlägertrupps fürchten muss.
Die Infotour unterstrich jedoch auch deutlich, dass neben Aufbau und Stärkung antifaschistischer Strukturen eine ständige antifaschistische Aufklärungsarbeit nötig ist.