11. November 2012
Heinz Hummler (geb. 1932), der Sohn des von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers Anton Hummler (1908-1944), hielt am 9. November 2012 am Platz ehemaligen Synagoge in Stuttgart-Bad Cannstatt die Gedenkrede für die Opfer und Ereignisse in der Nacht des 9./10.11.1938, der Reichspogromnacht oder “Reichskristallnacht”, die sich gegen die in Deutschland lebende jüdische Bevölkerung richtete.Nachdem er ausführlich auf die damaligen und späteren Geschehnisse eingegangen war, führte er aus:
Heute agieren Alt- und Neo-Nazis mitten in unserer Gesellschaft ganz unverfroren. Sie wissen, dass ihnen und ihrem Treiben allein schon wegen der unter sie eingeschleusten V-Leute keine Gefahr seitens unseres Staates droht.
Sie wissen, dass der mit Sicherheit auch heute hier anwesende Berichterstatter des Verfassungsschutzes, nicht den Auftrag hat, darauf zu achten ob der Artikel 139 unseres Grundgesetzes eingehalten wird.
Es gibt jedoch auch viel zu viele Verantwortliche in unserem Land, welche die für sie unbequemen Teile unseres Grundgesetzes einfach ausklammern, wie eben die Artikel „zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ oder zur „Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen“.
Eine alte Volksweisheit besagt: „Unterm Strich wird zusammengezählt“.
Man muss noch nicht einmal besonders kritisch zur von Politik und Medien betriebenen Informationspolitik stehen, um festzustellen:
Nazistische Umtriebe werden hierzulande nicht nur geduldet sondern sogar begünstigt.
Mit der, mehr als zufälligen Aufdeckung der Verbrechen des „NSU“ genannten Nationalsozialistischen Untergrunds wird nur ein kleiner Teil der Vernetzung von staatlichen Behörden und dem Unwesen faschistischer Umtriebe offenbar.
Die Ombudsfrau der Angehörigen der NSU-Mordopfer, Barbara John, beschreibt das in einem Interview so: „Wir sehen inzwischen, dass die Sicherheitsbehörden ein Eigenleben führen und ihre Fehler auf keinen Fall offenlegen wollen. Im Gegenteil, sie vertuschen sie.“ Und sie antwortet dann auf die Frage, ob auch ihr persönliches Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert sei: „Ja. Ich stehe mit Entsetzen davor.“
In der bundesdeutschen Öffentlichkeit wird von Politikern und Medien beim offensichtlichen Zusammenwirken von Naziterror und Behörden immer nur von Pannen geschwafelt. Die einzige echte Panne war jedoch nur, dass eine Firma verunreinigte DNA-Teststäbchen geliefert hatte. Alles andere, was jetzt ans Licht kommt, ist das vorsätzliche Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Kripo mit den Neo-Nazis.
138 Morde mit rechtsradikalem und rassistischen Hintergrund in den letzten 20 Jahren sprechen eine eindeutige Sprache.
Die Verstrickung bundesdeutscher Justiz, so genanntem Verfassungsschutz und den politisch Verantwortlichen für die Polizei mit rechtsradikalen Positionen zeigt sich an unzähligen kleinen, aber insbesondere an einigen zum Himmel schreienden gravierenden Beispielen.
Da gibt es in Stuttgart einen Oberstaatsanwalt und seine Jagd auf durchgestrichene Hakenkreuze, die von ihm demagogisch als Nazi-Symbole deklariert wurden, welcher vor 5 Jahren auf internationalen Druck hin am 8. März 2007 nur noch von Bundesanwalt und Bundesgericht in Karlsruhe gestoppt werden konnte.
Schon für solche fachlichen Entgleisungen wie die im Jahr 2007 wäre in einem Wirtschaftsunternehmen ein normaler Beschäftigter wegen gröbster Fehler fristlos entlassen worden.
Doch Herr Häußler darf seinen juristischen Amoklauf unbeirrt fortsetzen.
Ein Arm im Beton sei „Gewalt“ gegen Vollstreckungsbeamte und zu bestrafen, das Massakrieren von hunderten Menschen von Säuglingen bis zu Greisen in St. Anna di Stazzema aber, weil es der Bekämpfung von Partisanen gedient haben könnte, wäre keines Verfahrens würdig, sagt dieser hohe Staatsbeamte heute. Eine wahrhaft unerträgliche Geisteshaltung.
Partisanen, das waren und sind in ganz Europa – außer in Deutschland – geachtete und geehrte Kämpfer für die Befreiung ihrer Länder von der Okkupation durch Hitlerdeutschland.
In diesen Ländern gibt es bis heute nur Ehrfurcht und Achtung für solche Formen des Widerstands, wie zum Beispiel den Aufstand im Warschauer Ghetto, die Kämpfe der Selbstbefreiungsarmee unter Tito in Jugoslawien oder die Aktionen der französischen Resistance. In Italien ist der Kampf der Partisanen sogar in einem weltweit bekannten Lied verewigt. Wer kennt nicht „Bella Chiao“, das noch heute allen italienischen Kindern in der Schule vermittelt wird.
Und dann kommt ein Staatsanwalt aus Stuttgart daher und erfindet zynische Begründungen um die Mörder nicht anklagen zu müssen.
Doch damit nicht genug. Politik und Justiz begründen hierzulande die Erlaubnis für neofaschistische Umzüge und Umtriebe mit der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit.
Mit diesem Auftrag stehen dann monsterartig vermummte Polizisten in unseren Straßen, kesseln vorbeugend Passanten und antifaschistische Gegendemonstranten ein und erfassen diese erkennungsdienstlich.
Und dies nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. In Heilbronn, in Stuttgart, in Göppingen, und, und, und …
Dass es dabei nur um so genannte Meinungsfreiheit für Neo-Nazis geht, nicht aber für alle anderen, zeugt ein Erlebnis, welches ich selbst am 6. Oktober in Göppingen hatte.
Nachdem schon bei der morgendlichen Ankunft die Polizei eine große Menschengruppe in gefährlicher Weise auf den Bahnsteigen eingekesselt und den Bahnhof für alle Reisenden gesperrt hatte, – wo blieb da die Reisefreiheit für alle Bürger? – wurde ich bei der Rückfahrt von einem Polizisten aufgefordert, einen Button der VVN-BdA den ich auch jetzt trage mit der Aufschrift: „Nazis stoppen“, abzunehmen, weil ich sonst den Bahnhof nicht betreten dürfe.
Dass ich mir dies nicht gefallen ließ, sondern den Namen des Polizisten verlangte ist eine Sache.
Was aber zu fragen wäre ist: Mit welchen Aufträgen werden die Polizisten in solche Einsätze geschickt?
Es ist höchste Zeit, damit aufzuhören, dass Nazis staatlichen Schutz bekommen und Antifaschisten kriminalisiert werden.
Man kann es deshalb nicht laut genug sagen, und ich wiederhole es hier und heute:
Faschismus ist keine Meinung – und schon gar keine für die es ein Recht auf Meinungsfreiheit gibt. – Faschismus ist verbrecherisch, ob alt oder neu.
Es mag Leute geben, die sagen, wir wären so wenige und man müsse doch nicht immer alles wiederholen.
Es waren auch damals wenige, die sich dem braunen Terror widersetzten.
Aber sie hatten Recht!
Der größte deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Bertolt Brecht schrieb 1952:
„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“
Um zu erinnern und zu warnen, dass solche Verbrechen die einst im Namen Deutschlands begangen wurden niemals vergessen werden dürfen sind wir heute hier.
Bert Brecht sagt an anderer Stelle, und für mich klingt es wie eine Mahnung: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben.“
Wir wollen den heutigen Gedenktag zum Anlass nehmen, gegen Gleichgültigkeit, Vergessen-wollen und wohlwollende Duldung alter und neuer Nazis einzutreten. Es muss zur gesellschaftlichen und staatlichen Pflicht werden, unseren Kindern und Enkelkindern die Geschichte unserer finsteren Vergangenheit und ihre Lehren daraus ungeschönt zu vermitteln:
Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, Völkerhass, Rassismus und Gewalt ausgehen. Das sind wir, das ist Deutschland den Opfern der faschistischen Gewalt in ganz Europa schuldig.