24. Januar 2017
Rede von Gerhard Wick, 1. Bevollmächtigter, IG Metall Esslingen bei der Anti-AfD-Kundgebung am 21. Januar 2017 in Nürtingen
(Es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger,
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wenige hundert Meter von hier tagen die Delegierten des Parteitages der AfD – der sogenannten „Alternative für Deutschland“.
Sie hetzen dort gegen Flüchtlinge, gegen die Presse, gegen die Politik der demokratischen Parteien. Sie treten die Würde der Menschen mit Füßen.
Dagegen stehen wir hier vom Nürtinger Bündnis „Nürtingen bleibt bunt“.
Warum rede ich hier als Gewerkschafter?
Ihr seid doch eine Einheitsgewerkschaft, die sich nicht parteipolitisch betätigen soll, werden manche sagen.
Ja, das sind wir. Bei uns spielt es keine Rolle, ob man in der CDU, der SPD, bei den Grünen, der Linken oder in der FDP, oder einer anderen demokratischen Partei ist. Bei uns spielt es auch keine Rolle wo jemand herkommt. Wir arbeiten gemeinsam in den Betrieben. Wir diskutieren und streiten um die richtigen Positionen. Und manchmal kämpfen wir gemeinsam um gute Arbeit und gutes Leben.
Einheitsgewerkschaft heißt nicht unpolitisch zu sein.
Nein im Gegenteil.
Das Wesen der Demokratie ist der Streit um die richtigen Lösungen. Daran beteiligen wir uns als IG Metall selbstverständlich auch. Was daran undemokratisch sein soll, wie uns manche AfD Sympathisanten vorwerfen, kann ich nicht nachvollziehen.
War es etwa falsch gegen die Rente 67 klar Stellung zu beziehen? Ist es falsch das Thema Mindestlohn, gleiche Arbeit – gleiches Geld, paritätische Finanzierung der Krankenversicherung als IG Metall zu thematisieren und die Parteien daran zu messen was sie in dieser Frage tun wollen?
Die AfD steht für viele Positionen, die wir nicht teilen. Nur ein Beispiel:
Frauke Petry. Welt am Sonntag (05.06.2016):
„An einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt kein Weg vorbei. “ Außerdem werde man „vermutlich über eine weitere Kürzung der Renten reden müssen“.
Dies sei „brutal“, aber unabdingbar, da angesichts der demographischen Entwicklung für die Rentenkassen schwere Zeiten anbrechen würden.
Es gibt gute Gründe wütend zu sein. Wir alle haben die letzten Bankenkrisen erlebt. Wir haben gesehen wie mit unserem Steuergeld die Zocker freigekauft wurden. Die Gewinne der Banken werden privatisiert – die Verluste trägt die Allgemeinheit. Auch ich bin wütend. Nur: die AfD wird an den Ursachen ganz sicher nichts ändern.
Es gibt gute Gründe sich zu empören. Weil die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aus einander geht. Weil Reallöhne stagnieren. Weil die Zukunft Europas alles andere als rosig aussieht. Empören? Ja, unbedingt! Die Frage ist nur gegen wen. ….Flüchtlinge?
Diese Positionen haben zum Teil auch andere Parteien. Über die eine, oder andere Positionen könnte man mit Demokratinnen und Demokraten natürlich streiten.
Warum will ich mit der AfD nicht streiten?
Zum Beispiel wegen solcher Aussagen:
Zitat: „…wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ (Höcke, 17.01.2017 in Dresden)
Nicht die Mordtaten sind für ihn die Schande, sondern das Mahnmal und sein prominenter Standort.
Höcke will eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Was soll das in Bezug auf den Holocaust bedeuten? Mögliche Antworten darauf sind furchtbar.
Über Sozialpolitik kann man diskutieren, aber nicht mit Parteien die Rassisten und Nazis für sich reden lassen.
Ich sage es hier deutlich: Für Rassismus und Faschismus gibt es keine Toleranz!
Da habe ich noch ein paar Fragen an die Medien:
War es eigentlich nötig jeden Atemzug der AfD medial auszuleuchten? Die NPD oder die DVU saßen doch auch nicht jede Woche in einer Talkshow?
Warum werden Diskussionsrunden organisiert bei Schnittchen und Tee damit in diesen Runden über Minderheiten gehetzt werden kann? Warum nicht mal Diskussionsrunden für Flüchtlinge, Homosexuelle, oder Muslime damit die, sagen wir mal – über Schwaben herziehen können?
Warum wird über jede Schlägerei im Asylbewerberheim groß berichtet, aber über die Schläge, die die Flüchtlinge quer durch Europa ertragen mussten nicht?
Es wird öfters berichtet, dass die AfD ja mit ihren Wahlergebnissen von 15%, oder 20% nicht gefährlich sei. Es sei halt auch in Deutschland „Normalität“ eingezogen.
Es gibt Warnungen, Antidemokraten und Rassisten nicht in die Enge zu treiben.
Muss man die überall reden lassen, weil wir Meinungsfreiheit haben, weil wir Demokratie leben wollen?
Was ist mit den Menschen, die seit 50 Jahren hier leben, Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen?
Was ist mit deren Ängsten und Sorgen?
Wo haben diese Millionen von Menschen die Möglichkeit ihre Ängste zum Ausdruck zu bringen?
Was tun wir mit Parteien und Gruppierungen, die die Demokratie abschaffen wollen? Die Minderheitenrechte, ein wichtiges Element der Demokratie, nicht respektieren?
Wie viele Prozente muss eigentlich die verfassungsfeindliche NPD bei Wahlen erhalten bis sie verboten wird?
Wie lange schaut man zu? Was denkt man, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist? 50%? 60%?
Ich glaube, dass wir uns darüber einigen müssen, was wir unter Faschismus und Rassismus verstehen. Das Konzept vom Rassismus funktioniert immer so: Stigmatisierung, Ausgrenzung, Vertreibung, Vernichtung.
Das soll man nicht sagen?
Noch haben wir Presse- und Meinungsfreiheit. Warum sollen wir darauf verzichten?
Unsere Positionen, unsere Werte sind völlig entgegengesetzt zu denen der AfD. Wir stehen hier für Mitmenschlichkeit und eine solidarische und bunte Gesellschaft. Also brauchen wir die AfD hier nicht und sagen an die Adresse der Delegierten der AfD:
Wir wollen euch hier in Nürtingen nicht haben! Ihr passt nicht hierher – zu unserer Stadt und zu unseren Werten. Wir sagen an die AfD: Haut ab, kommt nicht mehr nach Nürtingen!
Viele in Nürtingen und deutschlandweit haben in den letzten Monaten nach Deutschland flüchtenden Menschen ehrenamtlich geholfen und sie bei den ersten Schritten in einem völlig fremden Land unterstützt. Viele haben Urlaub genommen oder mit ihrem Arbeitgeber eine Lösung gefunden, um helfen zu können. Dieses ehrenamtliche Engagement der vielen Helferinnen und Helfer verdient den höchsten Respekt. Auf diese Solidarität in der Zivilgesellschaft kann man stolz sein.
Auf das, was die AfD in der Stadthalle treibt nun wahrlich nicht.
Die Delegierten der AfD haben nicht geholfen. Im Gegenteil, sie versuchen Ängste zu schüren, gegenüber flüchtenden Menschen, anderen Religionen oder anderen Lebensweisen.
Kinder fürchten sich in der Nacht. Sie gehen zu ihren Eltern und sagen: „Unter meinem Bett liegt ein Monster“.
Die Petry, Gauland, Höcke, Wilder, Le-Pen – Eltern schauen das Kind an und fragen „Sicher, dass es nur eins ist?“
Die Nationalisten der AfD berufen sich auf die Grundwerte Europas und wollen gleichzeitig einen der wichtigsten Grundwerte beseitigen: Das Recht auf Asyl.
Die Nationalisten der AfD, diese selbsternannten Wächter der abendländischen Kultur, berufen sich auf christlich-jüdische Traditionen und treten einen der höchsten Werte – die Mitmenschlichkeit – mit Füßen.
Wir stehen hier für eine humane Zivilgesellschaft, die Fremden in Not hilft! Eine Gesellschaft, in der Antisemitismus und Islamfeindlichkeit keine Chance haben. Mit dieser Grundhaltung gehen wir die Probleme an. Dafür stehen die IG Metall, die DGB-Gewerkschaften und alle im Bündnis „Nürtingen bleibt bunt“. Dafür stehen wir hier heute in Nürtingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger,
viele Menschen machen sich derzeit Sorgen. Sorgen, dass die Zahl der zu uns flüchtenden Menschen nicht bewältigt werden kann, obwohl wir ein reiches Land sind. Viele befürchten, dass die Arbeitgeber die Situation ausnutzen und die Flüchtlinge zur Lohndrückerei missbrauchen und Tarifverträge umgehen. Viele fühlen sich alleingelassen, weil der Staat ihnen keine Chancen bietet, aus der Arbeitslosigkeit oder prekären Arbeitsverhältnissen heraus zu kommen.
Viele ärgern sich, weil viel zu wenig für die soziale Gerechtigkeit, für eine auskömmliche Rente, in diesem Land getan wird.
Viele ärgern sich, weil die Reichen und Vermögenden in Deutschland und Europa kaum etwas zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen.
All diese Sorgen und Anliegen von vielen Menschen sind ernst zu nehmen. Aber sie sind kein Grund dafür, die AfD zu unterstützen.
Du zahlst keinen höheren Krankenversicherungsbeitrag wegen der Flüchtlinge. Du zahlst ihn, weil die Arbeitgeber nicht mehr paritätisch an der Finanzierung beteiligt werden, weil in Deutschland viele gar nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezahlen müssen, weil es eine Bezugsgröße mit Deckel gibt und es einigen Privilegierten erlaubt wird sich privat zu versichern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger
keine der Sorgen und Fragen vieler Menschen ist ein Grund für die Ablehnung von Flüchtlingen. Ob diese nun wegen der Kriege, dem Terror oder der Armut in ihrem Land zu uns kommen. Es gibt keinen Anlass, die Flüchtlinge für etwas verantwortlich zu machen vor dem sie geflüchtet sind: Dem Krieg, dem Terror, dem Elend!
Jeder, der Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schürt, der wegschaut, wenn Asylbewerber angegriffen werden und Flüchtlingsheime brennen, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft und in den Gewerkschaften.
Selbsternannte Patrioten, wie die AfD brauchen wir hier nicht. Was soll auch patriotisch sein an einer Haltung, die andere Menschen kriminalisiert und ausgrenzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürgerinnen und Bürger
Im Gegensatz zu uns, hat die AfD keine Antworten und macht keine Vorschläge, wie wir zukünftig zusammen leben wollen. Ich habe nicht von ihnen gehört, wie die Kriege in der Welt beendet werden können.
Anders als wir, macht die AfD keine konkreten Vorschläge, wie die soziale Gerechtigkeit in unserem Land gestärkt werden kann. Von ihnen gibt es keine Vorschläge zur fairen Gestaltung von Leiharbeit oder Werkverträgen.
Anders als wir, hetzt die AfD – mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand – gegen Ausländer, gegen Muslime, gegen Flüchtlinge und Asylbewerber, gegen Homosexuelle, Andersdenkende oder Journalisten.
WIR stehen hier in Nürtingen für etwas vollkommen anderes:
Für Respekt gegenüber den Fremden und Flüchtlingen, für Mitmenschlichkeit und Solidarität.
Und vor allem für eine andere Politik in Deutschland, in der EU und weltweit. Eine Politik, die Despoten in die Schranken weist und Demokraten unterstützt. Eine Politik, die die Ausbeutung der Entwicklungsländer stoppt. Eine Politik, die für mehr soziale Gerechtigkeit in der Welt eintritt. Dafür stehen wir heute hier.
„Großvater, wie war das damals,
als Menschen flohen, durch ganz Europa,
vor Krieg und Massenvernichtung,
während sich andere scharten,
hinter den Predigern von Hass?
Großvater, wie war das damals,
als auf der Straße
bewaffnete Gruppen arischer Männer
die Straßen sicher hielten
und sauber, für die arische Frau?
Großvater, wie war das damals,
als eine neue Partei gewählt wurde,
die Hass predigte gegen Menschen,
die ihr irgendwie
nicht deutsch genug waren?
Großvater, wie war das damals,
zweitausendsechzehn?“
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger
Wir sollten die Probleme und Sorgen anderer zu unserer gemeinsamen Angelegenheit machen. Das nennt man Zusammenhalt. Klingt kitschig, hilft aber, damit wir von unseren Enkeln nicht solche Fragen gestellt bekommen.
Herzlichen Dank!