24. Oktober 2016
Die VVN-BdA ruft dazu auf, am 9. November der Pogromnacht 1938 zu gedenken. Dazu veröffentlichen wir Aufrufe aus der Region, die wir unterstützen:
Wir laden alle dazu ein, am Mittwoch, den 09. November 2016 um 18.00 Uhr am Platz der ehemaligen Synagoge in Cannstatt gemeinsam mit uns der Progromnacht zu gedenken.
Gedenken an die Opfer der Pogromnacht
Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland Synagogen, organisiert, vorbereitet und angestiftet von Partei, Regierung und Behörden des faschistischen Staates. Am nächsten Tag wurden jüdische Geschäfte geplündert, zehntausende jüdische Menschen gejagt, in KZs verschleppt, über 100 ermordet – Millionen sollten folgen…
Ernst Reichenberger – jüdisches Opfer aus Cannstatt
Die Synagoge in Cannstatt wurde in dieser Nacht von der Feuerwehr angezündet. Zwei Tage später am 12. November wurde Dr. Ernst Reichenberger, der in der König-Karl- Straße 24 eine Zahnarztpraxis hatte, ins KZ Dachau verschleppt. Nach seiner Rückkehr im Dezember erhielt er den Bescheid über die am 12. November 1938 erlassene „Judenvermögensabgabe“. Damit ließ sich das Deutsche Reich von den jüdischen Opfern das als „Reichskristallnacht“ beschönigte Verbrechen bezahlen. Im Januar 1939 verlor er seine Approbation, was seinen wirtschaftlichen Ruin bedeutete. 1943 wurde Ernst Reichenberger nach Auschwitz deportiert, wo er umgebracht wurde. Die Deutsche Bank überwies sein Restvermögen in Höhe von 11.247,73 Reichsmark an die Oberfinanzkasse, der Oberfinanzpräsident von Württemberg stellte mit deutscher Gründlichkeit die Flurgarderobe Reichenbergers mit einem Wert von 18.- Reichsmark sicher.
Die Pogromnacht war erst der Anfang
Nach der Pogromnacht wurden etliche Erlasse und weitere Gewaltmaßnahmen gegen JüdInnen umgesetzt, so erließ Hermann Göring neben der „Judenvermögensabgabe“ auch die Verordnung „zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ sowie „- über den Einsatz des jüdischen Vermögens“. Das Geld wurde dringend benötigt, um das Aufrüstungsprogramm der Wehrmacht zu finanzieren. Nach den Erlassen finanzierten die Großbanken die zu erwartende Milliarde Reichsmark vor, um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Deutschen Reiches abzuwenden. Die Erlasse stießen in großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung. Mit Terror und dem Anheizen von Antisemitismus gelang es, die jüdische Bevölkerung immer stärker von der restlichen Bevölkerung zu isolieren und sie als Sündenböcke für wirtschaftliche Probleme hinzustellen.
Für die Vernichtung des Nazismus mit all seinen Wurzeln
Im „Schwur von Buchenwald“ wird formuliert, dass der Nazismus mit allen seinen Wurzeln vernichtet werden muss. So leitete selbst die CDU 1947 ihr „Ahlener Programm“ mit folgenden Worten ein: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.“ Es sind also nicht nur die NSDAP und Adolf Hitler verantwortlich für die unglaublichen Verbrechen, sondern vor allem Banken und Großindustrie. Das kapitalistische Streben nach Profitmaximierung führte 1933 zur brutalen Zerschlagung der Arbeiterbewegung und zur Vernichtung von allen, die nicht in ihr Weltbild passten. Es folgten der Überfall auf Polen am 1. September 1939 und am 22. Juni 1941 auf die Sowjetunion. Am Ende des gigantischen Raub- und Eroberungsfeldzuges standen Auschwitz und 60 Millionen Tote.
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg! – Oder doch?
Wenn wir den Schwur von Buchenwald ernst nehmen, so müssen wir erkennen, dass unsere Gesellschaft sich immer weiter vom Ziel des Aufbaus „einer neuen Welt der Freiheit und des Friedens“ entfernt. Mit der AfD sitzt eine rechtspopulistische Partei in vielen Parlamenten, auch im baden- württembergischen Landtag mit 15,1%. Sie ist für Nazis offen und in der Lage, in größerem Umfang Menschenmengen zu mobilisieren. Vor allem ihre Forderungen in der Flüchtlingsfrage werden von den Regierungsparteien oftmals umgesetzt, somit ist ihr Einfluss auf die gesellschaftlichen Verhältnisse größer als auf den ersten Blick erkennbar. In dem so erzeugten gesellschaftlichen Klima sind rassistische Angriffe auf Flüchtlinge an der Tagesordnung. Vielen ist unklar: Die Armut in Deutschland nimmt zu. So gelten in Stuttgart 14% aller Kinder als arm. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind für immer mehr Menschen Realität, Wohnen ist für viele unbezahlbar. Dazu kommen soziale Abstiegsängste der noch nicht direkt Betroffenen. Und wieder werden Sündenböcke präsentiert. Flüchtlinge werden benutzt, um von den wahren Ursachen abzulenken – keiner soll auf die Idee kommen, die schreiende Ungerechtigkeit auf der Welt und schon gar nicht die Profitlogik des Kapitalismus in Frage zu stellen. Immer offener werden die Forderungen aus der Politik nach der Durchsetzung weltweiter deutscher Wirtschaftsinteressen – auch mit militärischer Gewalt. Die Bundeswehr soll logistisch, personell und ausrüstungstechnisch dazu befähigt werden. Kriegsministerin Ursula von der Leyen fordert ein Aufrüstungsprogramm in Höhe von 130 Mrd. Euro. Russland dient wie einst die Sowjetunion als Feindbild. Schon jetzt befindet sich die Bundeswehr in zahlreichen militärischen Einsätzen. In der beschlossenen „Konzeption Zivile Verteidigung“ wird im „Krisenfall“ die Unterordnung ziviler unter militärische Belange gefordert, die Bevölkerung soll an den Gedanken gewöhnt werden.
Wehret den Anfängen!
Natürlich ist die gesellschaftliche Situation 2016 in Deutschland eine andere als 1933. Doch es gibt Parallelen: Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, die umfassende Krise des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, die Präsentation von außen- sowie innenpolitischen Feindbildern und Sündenböcken und die Bereitschaft die Wirtschaftsinteressen militärisch durchzusetzen. Es ist festzustellen, dass die politischen Strukturen autoritärer werden. Wir müssen gemeinsam entschlossen dafür eintreten, dass die vorherrschenden Krisen mit sozialen Antworten bekämpft werden, dann ist es möglich eine neue Welt der Freiheit und des Friedens aufzubauen.
Deshalb werden wir jeglichem Antisemitismus entgegentreten und Rassisten und Faschisten konsequent bekämpfen. Und wir wehren uns gegen Prekarisierung und Sozialabbau, um rechten Ideologien den Nährboden zu entziehen. Wir solidarisieren uns mit Geflüchteten und Unterdrückten. Wir wollen offene Grenzen und ein bedingungsloses Bleiberecht – es müssen Fluchtursachen bekämpft werden, nicht Menschen.
Wir setzen uns ein gegen Abschottung, Aufrüstung und Krieg.
Wir stehen für ein solidarisches Miteinander!
UnterstützerInnen:
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS)
Arbeit Zukunft Stuttgart
Cannstatter gegen Stuttgart 21
DIE LINKE OV Bad Cannstatt
DIE LINKE Stuttgart
DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Stuttgart
Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Regionalgruppe Stuttgart
Friedenstreff Stuttgart Nord
GRÜNE JUGEND Stuttgart
Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V.
Linksjugend [`solid] Stuttgart
Revolutionäre Aktion Stuttgart
SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial)
ver.di Bezirk Stuttgart
Verein Zukunftswerkstatt e.V. Zuffenhausen
VÖS (Vaihingen Ökologisch Sozial)
VVN-BdA: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten
Waldheim Gaisburg; Waldheim Stuttgart e.V. / Clara Zetkin Haus
Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften
Via Gedenken an die Pogromnacht 1938 in Cannstatt